Christoph Gabriel, (Universität Mainz): Das bulgarische Judenspanisch zwischen Archaismus und Innovation: Morphosyntax, Sprachrhythmus, Intonation

Do. 18.5., 16--18h in O.07.08

Abstract

Das bulgarische Judenspanisch zwischen Archaismus und Innovation: Morphosyntax,
Sprachrhythmus, Intonation

Christoph Gabriel (JGU Mainz, christoph.gabriel@uni-mainz.de)

Wuppertaler Linguistisches Forum, Do 18.05.2017, 16-18, Raum: O.07.08


“Meine Eltern sprachen untereinander deutsch, wovon ich nichts verstehen durfte. Zu uns Kindern
und zu allen Verwandten und Freunden sprachen sie spanisch. Das war die eigentliche
Umgangssprache, allerdings ein altertümliches Spanisch, ich hörte es auch später oft und habe es
nie verlernt.” So beschreibt der 1911 im bulgarischen Ruse geborene Elias Canetti in seiner
Autobiografie Die gerettete Zunge den Sprachgebrauch in seinem Elternhaus. Seine L1, das von
den Nachkommen der sephardischen Juden gesprochene Spanisch (Judeo-español, auch: Djudezmo,
Djudjo, Ladino etc.), nimmt er vor allem als ein archaisches Idiom wahr: “Im Lauf der Jahrhunderte
seit ihrer Vertreibung hatte sich das Spanisch, das sie untereinander sprachen, sehr wenig
verändert.” Bekanntlich steht Canetti mit dieser Auffassung nicht allein da, und auch zahlreiche
sprachliche Merkmale, beginnend mit dem Sibilantensystem, das weitgehend den Stand des
Altspanischen bewahrt hat, bis hin zu syntaktischen Konstruktionen, die in früheren Sprachstufen
frequent waren, im heutigen Spanisch jedoch als ungrammatisch oder bestenfalls marginal
grammatisch bewertet werden (z. B. stylistic fronting, postverbale Klitika bei flektierten
Verbformen), bestätigen diesen Eindruck. Dass die heutigen Varietäten des Judenspanischen jedoch
auch innovative Züge aufweisen, die teils auf eigenständige Weiterentwicklung, teils auf Einflüsse
der jeweiligen Kontaktsprachen zurückzuführen sind, ist zwar aus kontaktlinguistischer Sicht kaum
verwunderlich, steht jedoch weniger im Fokus der gegenwärtigen Forschung. Im Vortrag befasse
ich mich mit dem Sofioter Judenspanisch und zeige anhand von neueren empirischen Produktions-,
Perzeptions- und Bewertungsdaten (Erhebungen: Sofia, Oktober 2012 und September/Oktober
2012/2016), dass es auf verschiedenen sprachlichen Ebenen in unterschiedlich starkem Maße
Merkmale der dominanten Umgebungssprache Bulgarisch angenommen hat. Behandelt werden
neben Wortstellung und clitic placement insbesondere der Sprachrhythmus und die Intonation.